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Sinnesleistungen in der Vogelwelt - Teil II
Ein Schwarm flatternder weißer Tauben zur Hochzeit, welch schöner Anblick und Brauch. Nur
zuweilen nicht für alle Tauben. Zumindest dann nicht, wenn ein unseriöser Züchter unerfahrene Jungtauben verwendet oder Tauben,
bei denen als Zuchtziel allein die Farbe Weiß im Vordergrund stand und nicht ein möglichst gutes Orientierungsvermögen. In
größerer Entfernung aufgelassene und noch untrainierte Jungtauben fällt die Orientierung wesentlich schwerer als einer
ausgebildeten Brieftaube mit Erfahrung. Was für das Hochzeitspaar, Gäste und Zaungäste ein herrlicher Anblick ist, endet für
unerfahrene Jungtauben oftmals eher schrecklich, insofern sie nicht verwildern.
Eine erfahrene Brieftaube würde hingegen noch aus einer Entfernung von über 1.000 km zurück zum heimatlichen Taubenschlag
finden, vorausgesetzt es kreuzt kein Greif ihre Flugbahn und die Kondition der Taube sowie die Wetterlage spielen mit.
Dass langsam an größere Entfernungen gewöhnte Brieftauben über ein außergewöhnlich gutes und ausgeprägtes Orientierungsvermögen
verfügen, ist hinlänglich bekannt und das nicht erst den Menschen der Neuzeit. Bereits in der Antike dienten Tauben als
fliegende Boten und da keine andere Taubenrasse über ein vergleichbares Orientierungsvermögen verfügt, dürfte es sich wohl bei
den einstigen Botentauben um frühe Verwandte unserer heutigen Brieftaube gehandelt haben.
Nur wie Tauben sich orientieren, gibt Ornithologen und sonstigen auf diesem Gebiet tätigen Wissenschaftlern immer noch Rätsel
auf. Da die Brieftaube im Vergleich zu anderen Vogelarten ein leicht zu händelndes Forschungsobjekt ist, welches noch dazu
allgemeine Rückschlüsse über die Sinnesleistungen der restlichen Vogelwelt ermöglicht, steht selbige bei Studien und
Forschungsarbeiten oftmals im Mittelpunkt. Neuere Studien, die sich mit dem "Wie" beschäftigen, sind dabei oftmals auf
die Orientierung durch Sinne ausgerichtet, die entweder das Magnetfeld der Erde oder olfaktorische Informationen auswerten.
Orientierung am Magnetfeld der Erde
Eigentlich scheint es sich nicht nur um eine Vermutung, sondern mehr um eine gesicherte
Erkenntnis zu handeln, dass das Magnetfeld der Erde für die Orientierung von Brieftauben und Zugvögel eine gewichtige Rolle
spielt. Nur über den Sitz und die Funktionsweise des für die Auswertung zuständigen Sinnesorgans bestand bis Anfang des 21.
Jahrhunderts noch Unklarheit. Dann machten Wissenschaftler auf sich aufmerksam, die eben diese Magnetfeldrezeptoren im Schnabel
von Tauben lokalisiert haben wollten. Um den Nachweis zu erbringen, wurden den Tauben winzige Magnete an der oberen Hälfte des
Schnabels befestigte. Das Ergebnis, Tauben mit Magneten am Schnabel waren in ihrer Orientierungsfähigkeit beeinträchtigt.
Weiterhin wurde vermutet, dass diese Magnetfeldrezeptoren kleinste Magnetits-Partikel enthielten, die sich entsprechend den
Magnetfeldlinien der Erde reagieren würden. Vermutlich ein Irrtum, zumindest lassen neuere Studien darauf schließen, dass es
sich bei den vermeintlichen Magnetfeldrezeptoren nur um Zellen handelt, die der Immunabwehr dienen. Stattdessen ist es
Wissenschaftlern vom Baylor College of Medicine in Texas im letzten Jahr (2011) gelungen, Bereiche im Gehirn von
Tauben zu lokalisieren, dessen Neuronen bei Veränderungen des Magnetfeldes aktiv wurden.
Magnetfeldlinien der Erde
Die Magnetfeldlinien treten bekanntlich nicht überall im gleichen Winkel aus dem Erdmantel aus,
sondern je nach geografischer Lage mit einem unter-schiedlich großen Neigungswinkel, der als Inklination bezeichnet wird. Dieser
Neigungswinkel beträgt am magnetischen Nordpol 90° bei einer Stärke des Magnetfeldes von etwa 60 µT (Mikrotesla) und verringert
sich bis zum Äquator auf 0° µT bei einer Stärke von etwa 30 µT. Bei den durchgeführten Untersuchungen wurde, wie es in
einschlägigen Berichten heißt, festgestellt, dass einzelne Neuronen ab einer Feldstärke von 20 µT zu feuern beginnen. Nur wo die
Rezeptoren befinden, welche die Neuronen mit eingehenden magnetischen Signalen beliefern, konnte bisher nicht geklärt
werden.
Bemerkenswert ist dabei weiterhin, dass nicht alle Neuronen auf einmal feuerten, sondern immer nur einzelne, in Abhängigkeit vom
Inklinationswinkel oder von der Feldstärke. Brieftauben dürfte es demnach durchaus möglich sein, die Nord-Süd-Richtung und eine
ungefähre Lage der "magnetischen" Breite zu ermitteln. Die "magnetischen Breiten" in Anführungszeichen, da
die Breiten mit vergleichbaren Inklinationswinkeln etwas wellenförmiger verlaufen als die geografischen Breitengrade.
Die Möglichkeit der Ermittlung des Inklinationswinkels und der Nord-Süd-Richtung allein würde jedoch noch nicht für eine
Bestimmung der Position und Flugrichtung ausreichen. Für eine richtige Lokalisierung bedürfte es zusätzlich noch der Ermittlung
der geografischen Länge oder eines vergleichbaren Indizes. Zum Beispiel durch einen Abgleich des Stands der Sonne mit der
inneren biologischen Uhr. Die Frage, ob bei einer geschlossenen Wolkendecke die Wahrnehmung von polarisiertem Licht für diese
Ermittlung ausreicht, kann leider nicht eindeutig beantwortet werden.
Olfaktorische Orientierung
Neben der Orientierung am Magnetfeld der Erde gab und gibt es eine Reihe von Studien, die auf
eine olfaktorische Orientierung schlussfolgern lassen. Bei früheren Experimenten wurden jedoch dabei den Tauben oftmals die
Geruchsnerven betäubt oder gar chirurgisch durchtrennt, wobei Nebenwirkungen auf andere Sinnesorgane nicht vollständig
ausgeschlossenen werden konnten. Bemerkenswert bleibt dennoch, dass eine Abschirmung des Windes am heimatlichen Schlag oder die
Filterung der Atemluft mit Hilfe von Aktivkohlefiltern, die Orientierung nach der Auflassung beeinträchtigt.
Bei einer weiteren Studie, durchgeführt in Zusammenarbeit von Wissenschaftlern des Max-Planck-Institutes für Ornithologie in
Radolfzell und italienischen Wissenschaftlern, wurde einem Teil der Versuchstauben das rechte und einem anderen Teil der Tauben
das linke Nasenloch verschlossen. Weiterhin wurden die Tauben mit kleinen GPS-Sendern ausgestattet, um die Flugroute auswerten
zu können. Ergebnis der Studie war, dass die Tauben, bei denen das rechte Nasenloch verschlossen wurde, größere Probleme hatten
den Kurs zu halten und häufiger rasteten. Aus dem unterschiedlichen Verhalten der Tauben schlussfolgerten die Wissenschaftler,
dass für die olfaktorische Orientierung das rechte Nasenloch, welches die linke Gehirnhälfte mit Signalen versorgt, eine größere
Bedeutung hat.
Dennoch bleibt eine gewisse Skepsis gegenüber einer olfaktorischen Orientierung bestehen, da es kaum vorstellbar ist, dass eine
aufgelassene Taube aus größeren Entfernungen ihre Heimat wittern kann. Im näheren Umkreis könnte eine Duftlandkarte der
Orientierung hilfreich sein, doch in einer Entfernung von 100, 500 oder mehr Kilometern wohl kaum. Möglicherweise mussten ja die
Tauben mit dem rechtseitig verschlossenen Nasenloch nur öfters Ruhepausen einlegen, um Sauerstoff zu tanken, als die mit dem
linkseitig verschlossenen Nasenloch. Nachfolgend einige Beispieldaten, über die zurückzulegenden Entfernungen von trainierten
Brieftauben im Verlauf eines Jahres.
Von Alttauben zurückzulegende Entfernungen bei Vor- und Preisflügen (Beispieldaten):
- 120 km
- 170 km
- 225 km
- 275 km
- 350 km
- 455 km
- 540 km
- 620 km
Als Vergleich sollen an dieser Stelle Haie und Wildschweine dienen, da beiden Spezies eine gute
Spürnase zugebilligt wird. Ein Hai kann bei günstigen Strömungsverhältnissen eine blutende Beute noch aus einer Entfernung von
rund 2 km oder etwas mehr wittern. Bei ungünstigen Strömungsverhältnissen hingegen wohl kaum. Was beim Hai von den
Strömungsverhältnissen abhängt, hängt beim Wildschwein von der Windrichtung abhängig. So ist bekannt, dass ein Wildschwein zwar
im Erdreich verborgene Leckerbissen erschnüffeln kann, bei ungünstigen Windverhältnissen hingegen einen Menschen auf eine
Entfernung von 100 Metern nicht riecht.
Berücksichtigen sollte der Leser, dass junge Brieftauben nicht gleich auf größere Reisen geschickt werden, sondern die erste
Auflassung in einer Entfernung von wenigen Kilometern zum heimatlichen Schlag erfolgt. Von Auflassung zu Auflassung wird diese
Entfernung vor der ersten Teilnahme an Preisflügen gesteigert. Somit hätten Tauben die Möglichkeit, eine Art von Duftlandkarte
vom näheren Umkreis zu speichern. Schwer vorstellbar bleibt hingegen, dass nun ausgerechnet Brieftauben aus einer Entfernung von
455 km nach der Auflassung zumindest erst einmal die Gegend bei der 350 km Marke erschnüffeln, von der aus sie bei der letzten
Auflassung den Heimweg fanden. Die Möglichkeit bestünde ohnehin nur dann, wenn die Routen vom Auflassungsort bis zum Schlag bei
allen Wettbewerben in etwa deckungsgleich wären.
Mit jeder erneuten und erstmaligen Steigerung der Entfernung zum Auflassungsort um rund 100 km bis zum Ort der Auflassung,
hätten die Tauben zunächst einmal einen 100 km breiten Gürtel von Neuland zu überqueren, von dem sie noch keine Duftlandkarte
speichern konnten. Bliebe praktisch nur die Möglichkeit, den Streckenverlauf während des Transportes zum Ort der Auflassung als
Duftstrecke zu speichern, doch auch dieser Ansatz klingt recht unwahrscheinlich.
Orientierung - Zugvögel und Tauben « Teil I
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