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Wissenschaft und Menschheit

Die Novemberrevolution und die Entente

* Von Hermann Müller-Franken * 18.05.1876 - † 20.04.1931

 

Die Novemberrevolution - Seite 2

Wie kam es nun zur Novemberrevolution?

Seit der Marneschlacht standen sich im Westen die Heere der Deutschen und der Entente im Stellungskrieg gegenüber. Die deutschen Heere hielten aus, trotzdem Deutschland wegen des Boykotts der Entente an Nahrungsmitteln und Rohstoffen bittere Not litt und auf unzureichenden Ersatz angewiesen war. In den weitesten Kreisen des deutschen Volkes herrschte das Gefühl, daß es, wie August Bebel im Jahre 1913 im Haushaltsausschuss des deutschen Reichstags gesagt hatte, um Sein und Nichtsein Deutschlands ging. Die Entbehrungen waren unmenschlich. Wenn Deutschland damals wirkliche Staatsmänner an seiner Spitze gehabt hätte, so hätte das Ziel ihrer Politik sein müssen, in den Ländern der Entente den Zusammenbruch der Stimmung der Massen zu fördern. In Frankreich und Italien war 1917 zeitweise die Stimmung sehr gedrückt. Es fanden dort Meutereien von einem Umfang statt, wie sie das deutsche Heer nie gekannt hat. Aber die deutschen Reichskanzler und ihre nachgeordneten Staatssekretäre waren gegen militärische Halbgötter ohnmächtig, die weder die Grenzen der deutschen Kraft, noch das Ausmaß der durch den Beitritt der Vereinigten Staaten von Amerika gestärkten Kraft der Kriegsgegner richtig einschätzten. Die deutschen Militärs mit Ludendorff an der Spitze wollten Belgien dauernd unter deutscher Oberhoheit halten, im Osten das Baltenland annektieren und außerdem die Kriegskosten ersetzt haben. Deshalb wurde das "Gottesgeschenk" der russischen Märzrevolution deutscherseits nicht ausgenützt. Hätte damals ein deutscher Reichskanzler offen und ehrlich erklärt, dass Deutschland im Osten zu einem Frieden ohne Annektionen und ohne Kontributionen bereit sei, hätte er den Einwohnern Russlands wirklich das Recht auf Selbstbestimmung gelassen, so hätte das in Frankreich, Belgien und Italien, wo die Massen auch kriegsmüde waren, die stärkste propagandistische Wirkung haben müssen. So ging der Krieg im Westen wie im Osten weiter.

Seit dem Ausbruch der russischen Revolution mehrten sich die Stimmen derer, die bei Fortdauer des Weltkrieges über Jahr und Tag auch eine deutsche Revolution für möglich hielten. Die Vorbedingungen für eine Revolution erfüllten sich aber erst, als die Karte des U-Boot-Krieges nicht stach. Für diesen Fall hatte Helfferich Deutschlands Sturz vorausgesagt. Und als am 8. August 1918 die deutschen Truppen bei Albert durch die Engländer eine schwere Niederlage erlitten, kam der Wendepunkt. Die Tanks der Entente hatten wesentlich zu dieser Niederlage beigetragen. Durch die Anwendung der Tanks wurde im Westen zum erstenmal die Moral der deutschen Truppen aufs schwerste erschüttert. Mit der Augustniederlage war das ganze System des ewigen Wartens auf militärische Erfolge ins Wanken geraten. Jetzt wusste alle Welt, dass der preußische Militarismus seinen letzten Waffengang antreten würde.

An der Spitze des deutschen Reiches stand damals Graf Hertling, ein hilfloser Greis. Wilhelm II. hatte seine "Handlanger" bisher immer gewählt, ohne den Reichstag zu fragen, wozu ihn die Halbabsolutistische Verfassung von 1871 berechtigte. Vor Ernennung Hertlings hatte er zum erstenmal die "Gnade" gehabt, mit den Reichstagsparteien Fühlung nehmen zu lassen. Von Kühlmann, der Staatssekretär des Auswärtigen, betrieb die Kandidatur des Grafen Hertling mit der Behauptung, dass der Kaiser die Fühlung mit dem Parlament für untauglich halten würde, wenn die Parteien Hertling ablehnen würden, in dessen Person ein Führer der Zentrumspartei berufen würde. Graf Hertling stand auf dem rechten Flügel des Zentrums. Um die Bedenken der Sozialdemokratie und der Freisinnigen zu zerstreuen, wurde neben ihm der Schwabe Friedrich Payer als Vizekanzler in die Regierung berufen. Graf Hertling musste schon am 9. Juli 1918 den Schmerz erleben, dass die Oberste Heeresleitung Herrn von Kühlmann stürzte, weil er im Reichstag wahrheitsgemäß gesagt hatte, dass militärische Entscheidungen allein den Krieg nicht mehr beenden würden. Das hatte ihn übrigens vorher die Oberste Heeresleitung selbst als geheime Information wissen lassen. Im September sah endlich jedermann ein, dass der "Fünfminutenbrenner" auf dem Kanzlerstuhle nicht mehr länger zu halten war. Prinz Max von Baden zog als letzter Kanzler des Kaisers in die Wilhelmstraße ein.

Der Prinz war militärisch nicht belastet. Im Kriege war er hauptsächlich in der Gefangenenfürsorge tätig gewesen. Er war unzweifelhaft guten Willens. Aber selbst wenn er mehr Kraft besessen hätte als ihm eigen war, wäre es für den Abschluss eines Verständigungsfriedens, wie ihn die Sozialdemokratie immer verlangt hatte, zu spät gewesen. Prinz Max glaubte noch, als er das Amt übernahm, an die Möglichkeit einer moralischen Offensive für einen halbwegs günstigen Frieden und an die Möglichkeit einer Fortsetzung des Krieges im Falle der Verweigerung eines solchen. Er war zur Annahme des Kanzleramtes nur bereit, wenn die Sozialdemokratie Parlamentarier für die Reichsregierung zur Verfügung stellte. Vor einer Berufung hat er Ebert diese Bedingung gestellt.

Die Reichsfraktion und der Parteiausschuss der deutschen Sozialdemokratie hatten am 23. September 1918 in einer gemeinsamen Sitzung im Reichstagsgebäude in getrennter Abstimmung mit 55 gegen 10 bzw. 25 gegen 11 Stimmen grundsätzlich beschlossen, den Eintritt in eine etwa neu zu bildende Reichsregierung unter einer Reihe formulierter Bedingungen zu billigen.

 


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