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Wissenschaft und Menschheit

Die Novemberrevolution und Minna Cauer

* Von Hermann Müller-Franken * 18.05.1876 - † 20.04.1931

 

Die Novemberrevolution - Seite 7

Dass die Hohenzollern abdanken mussten, konnte man nun auf allen Gassen hören, oft zugleich mit der bangen Frage: Wird mit dem Sturz der Dynastie auch das Reich in Stücke gehen? Wer die Reichstagssitzungen vom 23. und 24. Oktober 1919 miterlebt hat, wird nie vergessen, wie in offener Sitzung der Pole Stychl, der Elsässer Ricklin, der Däne Hansen dem Reiche die Kündigung aussprachen. War das der Anfang vom Ende des deutschen Reiches? Hier verlangten deutsche Reichstagsabgeordnete im Namen ihrer Wähler das Recht zur Selbstbestimmung. Das konnte ihnen niemand wehren. Aber es war ein Gradmesser für die Erkenntnis der Ohnmacht des Reiches. Wir sahen die Gefahr völligen Reichszerfalls zum ersten mal deutlich vor Augen. Das verursachte Herzschmerzen.

Die Sorge, dass dieser Krieg zwecklos noch weiter verlängert werden könnte, hatte in jenen Tagen die sozialdemokratischen Frauen Berlins veranlasst, eine Deputation an den Parteivorstand zu senden. Als Clara Bohm-Schuh, Enni Stock und Wally Zepler auf unserem Büro in der Lindenstraße erschienen, um das bittere Herzeleid der Mütter, Frauen, Bräute und Schwestern der Kriegsteilnehmer beredt zu schildern, konnte ich sie beruhigen. Der Sprachgewalt eines Léon  Gambetta wäre es nach viereinhalbjährigen Kriege auch nicht gelungen, den Landsturm eines allerletzten Aufgebots zum Kampfe gegen die Tankgeschwader der Entente zu begeistern.

Am 7. Oktober 1918 hatte Walter Rathenau in der "Vossischen Zeitung" die "Levée en masse", "das letzte Aufgebot" verlangt. Ludendorff, der wieder Mut gefasst hatte, dichtete in der Sitzung des Kriegskabinetts vom 17. Oktober der Sozialdemokratie die Macht an, das Volk noch packen und hochreißen zu können: " Kann das nicht Herr Ebert tun? Es muss gelingen!"

Die Antwort erhielt Ludendorff in dem am 18 Oktober 1918 im "Vorwärts" veröffentlichten Aufruf des sozialdemokratischen Parteivorstandes. Die Partei wusste, dass bei einer militärischen Kapitulation dem deutschen Volke schwerste Lasten auferlegt werden würden. In dem Aufruf des Parteivorstandes hieß es u. a.:
"Deutschland und das deutsche Volk ist in Gefahr, das Opfer der Eroberungssucht englisch-französischer Chauvinisten und Eroberungspolitiker zu werden."

Scharf sprach sich der Aufruf gegen die Kriegsgewinnler und die chauvinistischen Demagogen der Vaterlandspartei aus, aber ebenso entschieden auch gegen die unverantwortlichen Treibereien bolschewistischer Apostel, die die Herbeiführung des Friedens und der Demokratisierung erschwerten und die Gefahr des Bürgerkrieges und des wirtschaftlichen Chaos heraufbeschworen, wodurch Not und Elend nur gesteigert und die Eroberungsgier unserer Kriegsgegner nur angereizt werden konnte.

Darüber hinaus lag es nicht in der Macht der Sozialdemokratie, die Massen des Volkes zu neuen großen Kraftanstrengungen aufzupeitschen, weil diese einfach nicht mehr geleistet werden konnten. Die deutsche Volkskraft war fast bis zum Weißbluten vergeudet.

Walter Rathenaus Aufruf konnte nicht mehr zünden. Er selbst sah Deutschlands Lage zu klar, um das zu erwarten. Der Aufruf löste offenen Widerspruch auch im Lager der Intellektuellen aus. Fritz von Unruh sandte aus Zürich dem Prinzen Max eine Aufzeichnung, in der er ihm auseinandersetzte, "es sei sündhaft und rückfällig, jetzt noch an eine Volkserhebung zu denken." Hingegen sprang am 22. Oktober Richard Dehmel in einem Aufruf "Letzte Rettung" Rathenau bei. Ihm gab, den Massen der Frauen aus dem Herzen sprechend, am 28. Oktober Käthe Kollwitz die treffende Antwort: "Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden... es ist genug gestorben, keiner darf mehr fallen."

Nicht nur die sozialdemokratischen Frauen rührten sich in jenen Tagen. Bürgerliche und sozialdemokratische Frauen hielten am 4. November 1918 in Berlin in den Sophiensälen eine gemeinsame Kundgebung für die Einführung des Frauenwahlrechts ab. Marie Juchacz, Rosa Kempf. Marie Stritt, Clara Bohm-Schuch, Minna Cauer und Regina Deutsch referierten. Nach ihnen sprachen Vertreter der politischen Parteien und verschiedene Organisationen für das Frauenwahlrecht. Nach Konrad Haenisch, Paul Hirsch, Heinrich Schulz und dem Freisinnigen Sivkowitsch sprach ich für den Vorstand der Sozialdemokratischen Partei. Meine Vorredner hatten mir alle schönen Argumente für die Einführung des Frauenwahlrechts weggenommen., und so sagte ich einfach nach wenigen einleitenden Sätzen: "Wahrlich, es werden wenige in diesem Saale sein, die den Sieg des Frauenstimmrechts in Deutschland nicht erleben werden." Es wird mir unvergesslich sein, wie Minna Cauer, die greise Vorkämpferin für die staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Frauen, mir nachher sagte: "Das wahren Worte der Hoffnung, aber ich weiß nicht, ob ich das noch erleben werde." Schon wenige Wochen später wurde das Frauenwahlrecht in Deutschland durch die Volksbeauftragten eingeführt.

Die "Unabhängige Sozialdemokratie" hatte bereits am 5. Oktober in ihrer Presse und gleichzeitig in Flugblattform in Massen einen Aufruf verbreitet "An das werktätige Volk", in dem es nach Aufzählung von Forderungen, die die Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung der bürgerlichen Freiheiten betrafen, hieß: "Unser Ziel ist die sozialistische Republik. Sie allein ermöglicht es, die Welt von den Verwüstungen des Krieges zu erlösen." Dieses Ziel war international aufgestellt.: "Tiefe Umwälzungen gehen in allen Staaten vor sich. Die Welt erhält ein völlig anderes Antlitz."

 


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