|
Die Novemberrevolution - Seite 8
Wir Mehrheitssozialdemokraten glaubten nicht an das gleichzeitige baldige
Eintreten tiefer Umwälzungen in allen Staaten. Warum sollten in den Ententeländern, denen der Sieg seit
dem August 1918 in greifbarer Nähe gerückt war, Revolutionen kommen?
In bürgerlichen Kreisen sah man diese Zeichen der nahen Umwälzung mit Besorgnis an. In Berlin fürchteten
damals gerade demokratische Politiker, dass die verzweifelte Stimmung in Bayern in der Zeit der größten
Not des Reiches zum Abschluss eines Separatfriedens nach dem Vorbilde Karl von Habsburgs drängte.
Zur Unterstützung der Regierungspolitik war die Zentrale für Heimatdienst" in der Potsdamer Straße 113
unter Leitung des Staatsekretärs Erzberger errichtet worden, die Richtlinien für die Friedensfrage,
für die Demokratisierung des Reiches und der einzelnen Bundesstaaten und für die Erhaltung der Einheit
des Reiches in Form von Flugblättern herausgab. Erzberger war sozusagen Propagandaminister geworden.
Aber auch diese Arbeit kam reichlich spät. In wie viel bayrische Hände mag das am 4. November gedruckte
Flugblatt Richtlinien Nr. 6 "Bayern und das Reich" gekommen sein, in dem es unter Bezugnahme
auf Bayern hieß:
"So wird jetzt durch eine heimlich, mit Hilfe von allerhand gedrucktem oder gesprochenen Agitationsmaterial
getriebene Mache der Abfall vom Deutschen Reiche als unabwendlich und nutzbringend hingestellt."
Es wurde dann den Bayern ihre Verbundenheit mit Deutschland an der Hand einer Fülle von Zahlen klar
gemacht. Die Bayern hätten keine Kohle und fast keine künstlichen Düngemittel, für die Norddeutschland
eine Art Weltmonopol besitze, usw.: "Kein fremder Staat, auch Deutschösterreich nicht, könne
ersetzen, was durch Loslösung vom Norden verloren ginge." Gegen das Gespenst der Donaumonarchie
hatte sich in Bayern selbst bereits die München-Augsburger Allgemeine Zeitung gewandt.
Am 31. Oktober hatten wir in der "Zentrale für Heimatdienst", deren Beirat ich damals als
Beauftragter der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion angehörte, unter Erzbergers Vorsitz eine eingehende
Debatte über kommende Staatsumwälzung. Wer sie miterlebt hat, muss zugeben, dass der heute von allen
Reaktionären so sehr geschmähte Erzberger damals das Menschmöglichste tat, um die Debatte über die Kaiserfrage
einzudämmen. Er suchte mit allen Mitteln zu beweisen, dass Wilson auch in seiner Note vom 20. Oktober
1918 nicht die Abdankung Wilhelms II. verlangt hätte.
Erzberger suchte für die Richtlinien zur Kaiserfrage eine einstimmige Billigung des Beirats herbeizuführen.
Das gelang ihm aber nicht. Ich widersprach ihm nicht nur, weil ich andere Folgerungen aus den Noten
Wilsons zog, sondern auch, weil meiner festen Überzeugung nach durch die Herausgabe solcher Richtlinien
über die Kaiserfrage irgendwelcher Eindruck auf die Massen des Volkes nicht mehr zu erzielen war. Um
die Einmütigkeit herzustellen, wollte mich Erzberger dazu überreden zuzugestehen, dass die Kaiserfrage
zurzeit noch nicht die Abdankung des Kaisers erheische. Er ließ deutlich durchblicken, dass es aber
bald soweit kommen könne. Aber ich konnte ihm auch diesen Gefallen nicht tun. Die Richtlinien gingen
dann am 31. Oktober mit folgender Einschränkung heraus:
Die folgenden Richtlinien sind nicht dazu bestimmt, den Meinungsstreit über die Kaiserfrage zu verbreiten
und zu vertiefen, sondern sie sollen nur den Gedanken zur Abwehr und Zurückweisung für diejenigen enthalten,
die bei einer öffentlichen oder privaten Erörterung für das Verbleiben des Kaisers pflicht- und überzeugungsgemäß
eintreten wollen."
Damit war gesagt, dass sie eigentlich nur noch für den Hausgebrauch bis in die Knochen konservativer
Familien bestimmt waren. Erzberger fürchtete aber auch, dass nach der Abdankung des Kaisers und des
Kronprinzen in einer Zeit schwerster Erschütterungen der Sohn des Kronprinzen, ein Knabe im Alter von
zwölf Jahren, an die Spitze des Reiches gestellt werden würde. Die Regentschaft würde ungeheure Schwierigkeiten
überwinden müssen, zumal für Preußen der nächste männliche Anverwandte, Prinz Eitel Friedrich, als Regent
in Betracht komme. Damals war noch nicht bekannt, dass Wilhelm II. sich einige Tage vorher von seinen
sämtlichen Söhnen - und seine sieben Söhne haben ja alle den Krieg überstanden - hatte feierlich versprechen
lassen, dass keiner im Falle seiner Absetzung die Regentschaft übernehmen würde. Sozusagen also ein
Generalstreik der Hohenzollern im Falle der Absetzung. Freilich hoffte damals Erzberger noch, dass Wilhelm
II. freiwillig gehen würde:
"Glaubt der Kaiser, die Bürde der Krone nicht mehr tragen zu können, so wird sich die Nation in
Ehrfurcht seinem Entschlusse beugen: sie darf aber nicht von sich aus dem Kaiser die Treue versagen."
Wilhelm II. dachte damals noch nicht an Abdankung, aber immerhin war ihm Berlin zu unsicher geworden.
Er floh, ohne von seinem Vetter, dem Prinzen Max, Abschied zu nehmen am 29. Oktober - angeblich aus
Furcht vor Grippe - ins Große Hauptquartier. Der Reichskanzler suchte vergebens unter den deutschen
Fürsten und Prinzen einen, der Wilhelm II. zur Abdankung überreden konnte.
Seite 8 - Die Novemberrevolution * Kapitel I - Die Ursachen der Revolution
Seite 6
Seite 7
« zurück / weiter »
Seite 9
|
|
|
|